Auf internationaler Ebene hat die Beschäftigung mit dem Themenfeld „Sport und Entwicklung“ initiiert durch politische Kampagnen, wie das „
Europäische Jahr der Erziehung durch Sport“ (2004) oder das „
UN Jahr des Sports und der Leibeserziehung“ (2005) bzw. europäische Beschlüsse (
Europäische Charter,
Sport-Modell,
Helsinki Report,
Erklärung von Nizza,
Weißbuch des Sports,
Aktionsplan Pierre de Coubertin) und internationale Vereinbarungen, Initiativen und Konferenzen zum Stand des Schulfaches Physical Education (Weltgipfel des Schulsports,
MINEPS I-V,
CIGEPS,
NextStep) sowie zu den Effekten von Bewegung und Sport auf Wirtschaft, Gesundheit, Bildung, Entwicklung und Frieden seit Mitte der 90er Jahre auf politischem Terrain eine Renaissance erlebt.
Die UN hat im Rahmen der im Jahr 2000 verkündeten
Milleniums-Entwicklungsziele (MDGs) die
„Interagency Task Force on Sport for Development“ damit beauftragt, den Beitrag des Sports zur Erreichung der MDGs zu untersuchen. Der Bericht
„Sport für Entwicklung und Frieden“ empfiehlt, Sport und andere körperliche Tätigkeiten besser in entwicklungspolitische Maßnahmen zu integrieren. So wurde das Jahr 2005 zum
“Internationalen Jahr des Sports und der Leibeserziehung” erklärt, in dem die UN Projekte, Konferenzen und Kampagnen international koordinierte und förderte. In diesem Kontext wurde mit Adolf Ogi, jetzt Willi Lemke, ein
„Sonderberichterstatter für Sport im Dienste von Entwicklung und Frieden“ mit Büro in Genf (UNOSDP) berufen und eine “
Arbeitsgruppe für Sport im Dienste von Entwicklung und Frieden“ (IWG-SDP) eingesetzt. Diese stellte ihren vorläufigen
Bericht 2006 und ihren endgültigen Bericht
„Harmessing Power of Sport for Development and Peace: Recommendations for Governments“ Ende 2008 vor. Dieser nimmt in seinen Empfehlungen Regierungen in die Pflicht, einen Schwerpunkt „Sport und Entwicklung“ zu etablieren, der einen Nachweis über konkrete Politiken und Programme ermöglicht und eine kontinuierliche gesicherte Förderung und Beschäftigung garantiert. Zur Programmüberwachung, Bewertung und Evaluation ist die (internationale) Forschungskoordination zu verbessern, um eine bessere Dokumentationsbasis zu gewährleisten.
Die Auseinandersetzung mit „Sport und Entwicklung“ stellt in der deutschen Sportwissenschaft ein Desiderat dar. Obwohl zunehmend mehr Studierende ihre Praktika und Abschlussarbeiten in den Ländern des Südens absolvieren und ein personeller Einfluss auf internationaler Ebene mit Willi Lemke, der ehemaligen Präsidentin des
ICSSPE Prof. Gudrun Doll-Tepper und dem Vizepräsidenten des
IOC Thomas Bach, fehlt es an institutionalisierter Verortung und kontinuierlicher Grundlagenforschung in diesem Bereich.
Daher fordern wir folgendes Vorgehen:
- Werkstattgespräche Beteiligter aus Sport, Politik und Wissenschaft
- eine formale gemeinsame Erklärung seitens des Sports, der Wissenschaft und der Politik, die eine ernsthafte Auseinandersetzung und deren Finanzierung gewährleistet
- Nutzung von Anknüpfungspunkten aktueller (sport-)politischer Kontexte, wie dem IOC International Forum on Sport, Peace and Development, dem UNESCO Programm „Quality Physical Education“, der Umsetzung der Milleniumsentwicklungsziele, der UN Bildungsdekade Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung, dem UN Büro für Sport im Dienste von Entwicklung und Frieden
- eine inhaltliche wissenschaftliche Auseinandersetzung in sportwissenschaftlichen Studiengängen durch Konzipierung von Modulen, Masterstudiengängen und internationalen Kooperationen im Kontext des Bolognaprozesses
- Etablierung eine Graduiertenzentrums (Internationale Graduate School/ Promotionskollegs/ Internationales Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung) als Dachstruktur und Ort der wissenschaftlichen Aufarbeitung, Begleitung, Weiterentwicklung, Koordination und internationaler Kooperation finanziell gefördert durch das BMBF (Internationalisierungsstrategie, Internationales Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung) bzw. die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Hier könnte eine Grundlagenforschung angesiedelt sein, die thematisch auf Langzeitstrategien von „Sport und Entwicklung“, sowie Kurzzeitprojekte im Sinne von „Post-Disaster-Interventionen“ eingeht (ebenso Sonderforschungsbereiche möglich) und deren Potential für Sport und Schulsport in Deutschland (als interkulturelles Setting) reflektiert. Masterstudiengänge sind integrierte Programme des Graduiertenzentrums.
- Einrichtung einer ad-hoc Arbeitsgruppe in der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs)
Diese Maßnahmen sollen im Dienste der ganzheitlichen emanzipatorischen Definition der UNESCO „
International Charter of Physical Education and Sport“ helfen, Sport und Physical Education über ein kostengünstiges Instrument der EZ hinaus, das positiven Einfluss auf soziale, gesundheitliche und wirtschaftliche Probleme in den Entwicklungsländern ausüben könnte, als einen Beitrag zur Verwirklichung des individuellen „Recht[es] [...] als integrative[n] Bestandteil qualitativ hochwertiger Bildung und Entwicklung“ und im Einklang der
grundlegenden Prinzipien des Olympismus einen Beitrag dazu leisten, „Sport in den Dienst der harmonischen Entwicklung des Menschen zu stellen, um eine friedliche Gesellschaft zu fördern, die der Wahrung der Menschenwürde verpflichtet ist“